Jer 31,7-9 + Mk 10,46-52
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Wir sind wie die Jünger im heutigen Evangelium: zusammen mit Jesus sind wir dem blinden Bartimäus am Stadtrand von Jericho begegnet. Wir waren dabei als Augen- und Ohrenzeugen. „Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir“ (Mk 10,47), hat der geschrien. Wir haben uns vielleicht wie die Jünger geärgert über sein Geschrei, weil so Viele schreien – auch heute – weil wir dieses Geschrei nicht mehr hören können, geschweige denn das Elend mit ansehen. Da sprang der Blinde auf, warf seinen Mantel weg – das war alles, was er besaß – um schneller bei Jesus zu sein. Als ob der sein Leid und seine Armut lindern könnte. Kaum zu glauben. Wir werden ja sehen…
Als Jüngerinnen und Jünger waren wir dabei, als Jesus dreimal sein bevorstehendes Leiden in Jerusalem angekündigt hat (Mk 8,31-33; 9,30-34; 10,32-41) – am 24., 25. und 29. Sonntag im Jahreskreis. Wir können es nicht mehr hören. Wir sehen immer noch keinen Sinn darin, warum Jesus ausgerechnet nach Jerusalem gehen will. Menschlich und geologisch sind wir mit Jesus heute am Tiefpunkt angelangt, in der Stadt Jericho: sie liegt 250 m unter dem Meeresspiegel und ist die tiefstgelegene Stadt der Welt. Von Jericho führt ein Weg steil bergauf durch die Wüste nach Jerusalem – dorthin, wo Jesus, wie er gesagt hat, leiden würde.
Blöde Frage: „Was soll ich dir tun?“ (vgl. Mk 10,51), als ob nicht jeder von
uns wüsste, was sich der Blinde von Jesus erhofft…. Wir sehen: Jesus handelt nicht über den Kopf des Bartimäus hinweg; er nimmt ihn ernst; er begegnet ihm auf Augenhöhe und beginnt ein Gespräch, in dem das Ganze seiner Existenz zur Sprache kommt: „Rabbúni, ich möchte sehen können!“ (Mk 10,51). Wir spüren, dass dieses Sehen viel mehr ist als das Wiedererlangen des Augenlichts…: „Dein Glaube hat dich gerettet!“ (Mk 10,52).
Bartimäus sieht – wir sind wie mit Blindheit geschlagen. Bartimäus sieht mit glaubendem Herzen und geht in seiner Blindheit auf Jesus zu. Als Sehender und Glaubender folgt er Jesus; er hat keine Angst vor dem Kreuzweg, der vor Jesus liegt – wir sehen keinen Sinn in diesem Weg des Leidens.
Weltmissionssonntag – und dann diese merkwürdige Begegnung mit diesem jetzt sehenden Blinden. Diese Begegnung kann uns helfen, das Wort Mission zu verstehen. Es ist nämlich unsere Mission, unsere Aufgabe, als Christinnen und Christen weltweit: die Weitergabe des Glaubens. Glaube kann nicht weitergegeben werden, denn Glaube ist kein Gegenstand, über den wir verfügen können; Glaube ist eine Beziehungsgeschehen; Glaube ist Begegnung, Begegnung mit Jesus Christus. Das sehen und spüren wir: Bartimäus ist ein Glaubender, weil er seine ganze Hoffnung auf Gott setzt, der ihm in Jesus Christus nahekommt. Bartimäus glaubt, dass Jesus ihm weit mehr eröffnen kann als den Weg in ein normales Leben. Dieser Glaube hat für Bartimäus und für uns Christen eine befreiende und verwandelnde Kraft: Der Glaube kann meinem Leben eine neue Richtung und einen neuen Sinn geben; glaubend kann ich die Beziehung zu Jesus als den tragenden Grund meines Lebens erfahren und ihm nachfolgen. Ich kann dann anderen Menschen von meiner Beziehung zu Jesus erzählen: Was Jesus und der Glaube an ihn für mich bedeuten; wo ich durch ihn neu sehen kann, weil er mir neue Perspektiven für mein Leben schenkt.
So wird der Glaube weitergegeben – damals wie heute. Genau das ist auch der Weg der Mission im westafrikanischen Senegal, dem Beispielland des diesjährigen Weltmissionssonntags, in dem auch unserer Partnerdiözese Thiès liegt. Meist Frauen, die den Glauben dort weitergeben – von Frau zu Frau und von Mutter zu den Kindern – Frauen, die von kirchlichen Einrichtungen und Helferinnen und Helfern auch im Meistern des Alltags unterstützt werden: Wie sie ihre Kinder gesund ernähren und vor Krankheiten schützen können. Wie sie für ihre Familien ein kleines Einkommen erwirtschaften können. Wie sie ihre Kinder – auch die Mädchen! – auf die Schule schicken können, damit sie eine gute Zukunft haben. Kirchliche Helfer und Helferinnen, die auch davon erzählen, was ihnen selbst Kraft gibt für ihren Dienst; was ihnen immer wieder Mut macht, angesichts der vielen Probleme und Sorgen nicht aufzugeben: Das ist auch die gute Zusammenarbeit und das friedliche Zusammenleben mit der Mehrheit der Bevölkerung, die sich im Senegal zum Islam bekennt – lediglich eine kleine Minderheit der rund 16 Millionen Einwohner sind christlichen Glaubens. Es ist ein Sehen mit dem Herzen, das nicht auf Trennendes sieht, sondern auf das Verbindende. Die Kirche genießt im Senegal große Anerkennung, denn die kirchlichen Angebote im Gesundheits- und Bildungsbereich sind für alle offen – auch für Muslime. „Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun“ (Gal 6,9) – das Motto des Weltmissionssonntags 2021 ist wesentlich für die Mission: Die Menschen sollen sehen, dass die Botschaft gelebten Glaubens konkret mit ihnen und ihrem Leben zu tun hat, und sie sollen mit dem Herzen spüren, welche Kraft in diesem Glauben an Jesus Christus steckt; wie er ihr Leben von innen heraus erneuern und in einem umfassenden Sinn heilen kann.
Wir sind wie die Jüngerinnen und Jünger im heutigen Evangelium: wir machen eine Wandlung durch – zuerst waren wir abweisend; aber dann sprechen vielleicht auch wir. „Hab nur Mut, steh auf, er [= Jesus] ruft dich“ (Mk 10,49). Jesus brauchte damals die Jünger, die Bartimäus ermutigen, aufzustehen und ihn, auf Jesus Christus, zuzugehen. Solche Menschen sind auch heute wichtig und gefragt: Menschen, die anderen Mut machen, sich nicht einfach mit ihrer Situation zufriedenzugeben und die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht einfach aufzugeben – Menschen, die anderen Mut machen, ihre Hoffnung auch auf Gott zu setzen und an seinen Sohn, Jesus Christus, zu glauben. In Ihm hat die Menschenfreundlichkeit, Barmherzigkeit und Liebe Gottes ein menschliches Gesicht. Stärken wir Mutmachern bei uns und weltweit den Rücken und unterstützen wir das Gute, das sie tun, und ihre christliche Missionsarbeit durch unser Gebet, durch unsere Solidarität und durch unsere Spende! Amen.