Gestern hat Papst Franziskus in einer eindrucksvollen und bewegenden Stunde Christinnen und Christen weltweit Mut gemacht auch in der aktuellen Krise an Jesus Christus zu glauben und ihm zu vertrauen, hat mit ihnen u.a. vor einem Pestkreuz zum Gekreuzigten gebet und der Stadt Rom und dem Erdkreis den Segen „Urbi et Orbi“ gespendet.
Wenn wir heute Nachmittag, nachdem der Sonntag liturgisch schon begonnen hat, auf das Kreuz und den Gekreuzigten in unseren Kirchen blicken, finden wir es vielerorts mit einem violetten Tuch verhüllt.
Das violette Tuch unterstützt kein Wegschauen, kein „Geht mich nichts an“, kein Ausblenden von bitteren Realitäten und auch nicht den Missbrauch von Macht.
Es ist kein Mantel des Schweigens, der über die Brutalität des Kreuzes und der Kreuzigung und damit über menschliche Grausamkeit und menschliches Leid gebreitet wird.
Die Verhüllung des Gekreuzigten fordert stattdessen, ein „Fasten mit den Augen“ ein, einen bewussten Verzicht – am Karfreitag wird bei der Enthüllung des Kreuzes der Gekreuzigte wieder sichtbar, mitten in unserem Leben, in seinem und unserem Leiden, mitten in seinem Sterben und unserem Leben auf den Tod zu.
Das violette Tuch unterbricht unsere gewohnte Sichtweise und schränkt unsere Gemeinschaft mit ihm ein – es ist Symbol auch für diese Tage der Corona-Pandemie: die Gemeinschaft mit Jesus Christus und miteinander in der Feier der Eucharistie und in den Sakramenten ist derzeit nicht möglich. Das schmerzt.
Das violette Tuch der Kreuzverhüllung ist daher eine Zumutung und eine Herausforderung für unseren Glauben: (der leidende) Christus ist uns genommen; er ist nicht sichtbar – scheinbar nicht da.
Für viele Menschen ist das bittere Realität: Sie sehen und spüren den mitleidenden Christus nicht in ihrem Leben, sehen und spüren nicht, dass da einer zur Seite steht, beisteht, und die Last des Lebens und des eigenen Kreuzes tragen hilft – es ist die gefühlte Gottferne, die angeblich ausbleibende Hilfe Gottes, die scheinbare Gottverlassenheit.
Wo ist denn dein Gott? Warum hilft er nicht? Warum greift er nicht ein – gerade jetzt, wo die ganze Menschheit von der Corona-Pandemie bedroht ist und viele Menschen sterben?
Klagende Fragen der Menschheit heute – fragende Klagerufe Jesu am Kreuz, wenn er sterbend betet, ja schreit: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46).
Jesus greift in seinem Sterben auf ein Klagegebet, auf Psalm 22, zurück „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage? Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du gibst keine Antwort; ich rufe bei Nacht und finde doch keine Ruhe“ (Ps 22,2-3).
Diese Klagen dürfen sein und müssen sein – auch sie sind Ausdruck der Gottesbeziehung.
Aber trotz aller Klage, trotz aller Fragen hat der sterbende Jesus am Kreuz auch Zuversicht: Er hat Gott nicht aufgegeben. Er rechnet mit dem Eingreifen Gottes und klagt ihm sein Leid – es ist das Gefühl der scheinbaren Gottferne mitten im erfahrenen Leid.
Gott ist da. Er lässt Jesus nicht allein. Dies wird deutlich an einem anderen Wort Jesu, das er vor seinem Sterben spricht: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46). Dieses Wort lebt vom Vertrauen, dass mit Gott auch im Sterben alles gut werden wird.
Wenn auch im Leid und Tod noch nicht spürbar, ist in diesen Worten Jesu doch die Hoffnung und Gewissheit auf Gottes helfende und rettende Hand ausgedrückt – im Leben wie im Tod.
Die Fasten- und Passionszeit und die bald beginnende Karwoche laden uns ein, unsere Klagen, Fragen und Bitten im Gebet vor Gott zu bringen – vor die verhüllten Kreuze in unseren Kirchen.
Auch in der tiefsten Not sind wir nicht von Gott verlassen. Sein Sohn Jesus Christus ist und bleibt bei uns. Aus der eigenen Erfahrung der Nähe und Gegenwart Gottes im Leben, Sterben und Auferstehen sagt er uns zu: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20).
Guter Gott, lass uns auf dich vertrauen, auf dich hoffen, an dich glauben, auch wenn wir dich nicht sehen und spüren in unserem Leben. Sei bei uns mit deinem Segen + Amen.
Ihnen/Euch allen Gottes Schutz und Segen
Dieter G. Jung
Pfarradministrator im Katholischen Seelsorgebereich Hofer Land zuständig für Schwarzenbach a. d. Saale – Oberkotzau – Rehau
Kommentar schreiben